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Insolvenzantragspflicht und Corona
Wiederholt hat der Gesetzgeber in letzter Zeit angesichts der Corona-Pandemie die Pflicht zur Insolvenzantragstellung modifiziert. Die aktuell historisch niedrige Anzahl von Insolvenzanträgen spiegelt dies deutlich wieder, zeigt aber auch, dass sich derzeit eine hohe Zahl verschleppter Insolvenzen aufbaut. Es steht zu befürchten, dass einerseits ein erheblicher Teil der Normadressaten die aktuelle Rechtslage verkennt, andererseits sich ein ebenso erheblicher Teil trotz bestehender Insolvenzantragspflicht hinter den Corona-Gesetzen versteckt in der Hoffnung, sich mittels Corona-Staatshilfen aus der ohnehin bestehenden Unternehmenskrise zu retten.
Wer muss überhaupt einen Antrag stellen?
Bevor wir uns den Ausnahmen von den Antragspflichten zuwenden, zunächst ein Blick auf die normale Rechtslage. Danach sind zur Stellung eines Insolvenzantrages zunächst nur verpflichtet juristische Personen (GmbH, AG, eG, Vereine) oder Gesellschaften ohne Rechtspersönlichkeit, bei denen kein persönlich haftender Gesellschafter eine natürliche Person ist (regelmäßig die GmbH & Co. KG). Wird ein Insolvenzantrag nicht, zu spät oder falsch gestellt, droht den Geschäftsleitern nach § 15a Abs. 4 InsO Geldstrafe oder Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren, in Fällen der fahrlässigen Insolvenzverschleppung Geldstrafe oder Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr. Dabei ist es grundsätzlich egal, ob der Geschäftsleiter (Geschäftsführer einer GmbH, Director einer Ltd., Vorstand einer AG) im Rahmen der unternehmensinternen Organisation gar nicht für den kaufmännischen Bereich zuständig ist – die formelle Stellung genügt für Antragspflicht und Strafbarkeit. Auch einen faktischen Geschäftsführer trifft die strafbewehrte Antragspflicht.
Einen Antrag stellen können – müssen aber nicht – Einzelpersonen und Gesellschaften, in denen ein persönlich voll haftender Gesellschafter eine natürliche Person ist (Einzelunternehmen, i.d.R. OHG, GbR, KG). Ein Weiterwirtschaften in der Krise kann aber auch hier Straftatbestände erfüllen (vgl. §§ 283 ff. StGB).
Wann muss der Antrag gestellt werden?
Die Pflicht zur Stellung eines Insolvenzantrags besteht bei Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung.
Zahlungsunfähigkeit besteht dann, wenn „der Schuldner nicht in der Lage ist, die fälligen Zahlungspflichten zu erfüllen“ (§ 17 Abs. 2 S. 1 InsO). Die Rechtsprechung hat konkretisiert und festgelelegt, dass dies der Fall ist, wenn zwischen den liquiden Mitteln und den fälligen Verbindlichkeiten eine Deckungslücke von 10 % oder höher besteht. Zahlungsunfähig ist also bereits die Gesellschaft, die noch 90 % der fälligen Verbindlichkeiten bezahlen kann. Kann dieser Zustand nicht wieder beseitigt werden, besteht die Antragspflicht, spätestens nach drei Wochen.
Überschuldet ist ein Unternehmen, wenn die Verbindlichkeiten das Vermögen übersteigen. Auf der Aktivseite sind stille Reserven dem Vermögen zuzurechnen, auf der Passivseite qualifizierte Rangrücktritte zu berücksichtigen. Da eine – zumindest vorübergehende – Überschuldung nach dieser Definition in unserer kreditbasierten Wirtschaft nicht unüblich ist, muss zum Vorliegen einer insolvenzrechtlichen Überschuldung, die eine Antragspflicht auslöst, noch eine negative Fortführungsprognose hinzutreten. Ist die Fortführung des Unternehmens „für die nächsten 12 Monate überwiegend wahrscheinlich“ (§ 19 Abs. 2 InsO n.F.), besteht keine Insolvenzantragspflicht wegen Überschuldung. Liegt eine insolvenzrechtliche Überschuldung vor, muss nach der ab 01.01.2021 geltenden Gesetzeslage spätestens nach sechs Wochen (Altfälle: drei Wochen) ein Insolvenzantrag gestellt werden.
Die Corona-Ausnahmen
Voraussetzung für alle Ausnahmen von der Insolvenzantragspflicht ist eine corona-bedingte Krisensituation. Die Zahlungsunfähigkeit oder die insolvenzrechtliche Überschuldung dürfen nicht bereits vor dem 31.12.2019 eingetreten sein – nur dann greift eine gesetzliche Vermutung, wonach die wirtschaftliche Krise pandemiebedingt ist.
Folgende Regelungen zur vorübergehenden Aussetzung der Insolvenzantragspflicht hat der Gesetzgeber in dem sogenannten COVID-19-Insolvenzaussetzungsgesetz bislang beschlossen:
- Aussetzung der Antragspflicht bei Überschuldung und Zahlungsunfähigkeit vom 28.03.2020 bis 30.09.2020
- Aussetzung der Antragspflicht nur bei Überschuldung vom 01.10.2020 bis 31.12.2020
- Aussetzung der Antragspflicht bei Überschuldung und Zahlungsunfähigkeit vom 01.01.2021 bis 04.2021, wenn antragsberechtigt für staatliche Hilfsprogramme aus dem Zeitraum vom 01.11.2020 bis 28.02.2021, der Antrag gestellt wurde oder gestellt werden kann und wird und die Hilfe das formell eingetretene Insolvenzereignis beseitigen kann.
Gerade die letztgenannte Verlängerung der Aussetzung der Antragspflicht bezieht einen vermeintlich sehr großen Kreis von Betroffenen ein. Dies darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass auch hier Grundvoraussetzung der Eintritt der Krise aufgrund der Corona-Pandemie ist; liegen die Insolvenzgründe beispielsweise im Rückzug des Verbrennungsmotors und einem damit einhergehenden Auftragseinbruch eines Zulieferers, greifen all die vorgenannten Ausnahmen nicht.
Zwar gilt hier wie überall: Wo kein Kläger, da kein Richter. Wenn aber zu einem späteren Zeitpunkt ein Insolvenzantrag gestellt wird, und sei es durch einen Dritten wie eine Krankenkasse oder das Finanzamt, wird die Vergangenheit unweigerlich aufgearbeitet. Aufgrund der Verwaltungsvorschrift „Anordnung über die Mitteilungen in Zivilsachen“ wird die Insolvenzakte mit dem Gutachten des Insolvenzsachverständigen in jedem Fall einer Unternehmensinsolvenz der Staatsanwaltschaft vorgelegt. Lässt sich aus dieser Akte mehr oder weniger zweifelsfrei ablesen, dass die Unternehmenskrise bereits im Jahr 2019 oder später, aber völlig unabhängig von der Corona-Pandemie, eingetreten war, drohen allein schon wegen des dann großen Verschleppungszeitraums relativ harte Sanktionen. Wenn ein Unternehmen, welches gar nicht unter die Ausnahmeregelung zur Antragspflicht gefallen war, dann auch noch Corona-Staatshilfen bezogen hat, tritt zu den üblichen Insolvenzdelikten noch der Vorwurf des Betruges. Je nach Höhe der zu Unrecht bezogenen Mittel drohen hier schnell sehr hohe Strafen.
Fazit
Geschäftsleiter und professionelle Berater tun sehr gut daran, sich mit den immer noch laufenden – und bis zur Bundestagswahl weiter zu erwartenden – Ausnahmeregelungen detailliert auseinanderzusetzen, bevor von einem Insolvenzantrag abgesehen wird und Überbrückungshilfen beantragt werden.
Rechtsanwalt Oliver Bauer
Fachanwalt für Insolvenzrecht
Fachanwalt für Strafrecht