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BGH stellt neue Spielregeln zur Vorsatzanfechtung auf

Der Bundesgerichtshof hat am 06.05.2021 – IX ZR 72/20 - ein Urteil verkündet, welches in der Praxis zunächst hohe Welle geschlagen hat. So manch ein Sozialversicherungsträger oder anderer "klassischer" Anfechtungsgegner wird sich gedacht haben, dass eine Abwehr insolvenzrechtlicher Rückgewähransprüche fortan erheblich leichter fallen würde. Tatsächlich bleibt nahezu alles beim Alten - bei einer sorgfältigen Ermittlung des Sachverhaltes, steht einer erfolgreichen Vorsatzanfechtung nichts im Wege.

Dem Urteil des BGH lag ein eher unspektakulärer Fall zugrunde. Der erkennende Senat nutzte jedoch die Gunst der Stunde und stellte neue Spielregeln für die Vorsatzanfechtung auf:

  1. Es reicht nunmehr für die Annahme des Gläubigerbenachteiligungsvorsatzes nicht allein aus, dass der Schuldner um seine Zahlungsunfähigkeit wusste. Ferner muss er wissen, zumindest billigend in Kauf nehmen, dass er seine übrigen Gläubiger auch in Zukunft nicht vollständig befriedigen kann.
  2. Auch der Anfechtungsgegner muss für die Kenntnis vom Gläubigerbenachteiligungsvorsatz des Schuldners zusätzlich wissen, dass der Schuldner seine übrigen Gläubiger auch künftig nicht wird befriedigen können.
  3. Von einer Zahlungsunfähigkeit des Schuldners kann nur ausgegangen werden, wenn die Tatsachen gem. § 286 ZPO die volle Überzeugung erlauben, dass der Schuldner mangels liquider Mittel nicht zahlen kann. Ein besonderes gewichtiges Indiz ist dabei die Erklärung des Schuldners, nicht zahlen zu können. Fehlt es an solch einer Erklärung, müssen die für eine Zahlungseinstellung sprechenden sonstigen Umstände ein der Erklärung entsprechendes Gewicht erreichen.
  4. Die Fortdauervermutung für die Zahlungseinstellung hängt davon ab, in welchem Ausmaß die Zahlungsunfähigkeit zutage getreten ist.

Was bedeutet das für die Praxis?

Der Insolvenzverwalter muss nunmehr im Rahmen des Gläubigerbenachteiligungsvorsatzes wie bisher auch darlegen, dass der Schuldner zahlungsunfähig ist und Kenntnis von der eigenen Zahlungsunfähigkeit hatte. Ferner muss er eine Prognose aufstellen und darlegen, dass der Schuldner zumindest billigend in Kauf nahm, seine übrigen Gläubiger auch zukünftig nicht befriedigen zu können. Dies wird dem Verwalter gelingen, wenn er den Sachverhalt sorgfältig ermittelt und die komplette wirtschaftliche Entwicklung des Schuldners dergestalt darlegen kann, dass an dem „Weg des Schuldners in den Untergang“ keine Zweifel mehr bestehen.

Maßgeblich werden auch weiterhin die von der Rechtsprechung aufgestellten Indizien sein: Nichtzahlung von Sozialversicherungsbeiträgen und Löhnen, schleppende Zahlweise, Teilzahlungen, Zahlungen unter Vollstreckungsdruck, Kenntnis weiterer Gläubiger usw.

Besonders hervorzuheben ist nunmehr das Zahlverhalten des Schuldners in der Vergangenheit. Auch der Anfechtungsgegner wird schwer von der Hand weisen können, dass der Schuldner zahlungsunfähig ist bzw. Umstände vorliegen die darauf hindeuten, wenn sich das Zahlverhalten drastisch verändert hat. Wobei der BGH in seiner Entscheidung klarstellt, dass die bisherige Beweiserleichterung für die Kenntnis des Anfechtungsgegners weiterhin Bestand haben soll wonach der Gläubiger, der die drohende Zahlungsunfähigkeit kannte, auch Kenntnis von dem Benachteiligungsvorsatz haben wird, vgl. § 133 Abs. 1 S. 2 InsO.

Es kann damit gerechnet werden, dass die erstinstanzlichen Gerichte eine Vielzahl an unterschiedlichsten Auslegungen der neuen Rechtsprechung vornehmen werden und dementsprechend alles vertreten sein wird. Nach und nach werden sich die konkreten Anforderungen herausstellen, sodass die Segel zielgerichtet gesetzt werden können. Bis dahin bleibt es dabei – die sorgfältige Ermittlung des Sachverhaltes und dessen Darstellung bleibt das A und O einer erfolgreichen Vorsatzanfechtung.

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